Wie sollen sich Menschen in einer Atmosphäre, die sich täglich wie ein Minenfeld anfühlt, zum Positiven verändern?
Pedro Holzhey

Hohe Mauern, ein Abschluss aus Klingendraht. Dahinter karge Betonhöfe. Das Gefängnis als Konstrukt ist immer noch jedem geläufig, obwohl man meist nur wenige Berührungspunkte damit hatte. Ob dies daran liegt, dass man hin und wieder die massiven Mauern eines städtischen Gefängnisses passierte oder aufgrund der zahlreichen Darstellungen aus Film und Fernsehen. Seit jeher ist einem das Wort ein Begriff und man besitzt eine recht klare Vorstellung, wie ein Gefängnis von innen aussehen hat. Das Gefängnis setzte Menschen fest, die sich nicht an die Regeln der Gesellschaft gehalten haben und daher zumindest zeitweise von dieser getrennt werden. Durch die Beeinflussung der Medien und die Positionierung der Gefängnisse fernab des Sichtbaren, blieb bei vielen ein klischeehaftes Bild hängen, das mit der Realität nur wenig zu tun hatte.
Das Wort incarceration beschreibt den Zustand des Gefangenseins, des Entzugs der Freiheit. Die persönliche Freiheit, das höchste Gut in der Demokratie, wird damit eingeschränkt, um die Freiheit und Sicherheit der restlichen Gesellschaft zu schützen - ein ideologischer Akt. Durch den Resozialisierungsgrundsatz wurde versucht, diesen Einschnitt zu legitimieren. Um der Gesellschaft jedoch ein Bild von Sicherheit zu vermitteln, verschwanden diese Einrichtungen hinter den zuvor beschriebenen Mauern.

Prisoners are the community. They come from the community, they return to it. Protection of prisoners is protection of our communities.
Prof. Dr. Heino Stöver

Grundsätzlich hatte das Gefängnis folgende drei Funktionen: Es sollte die Öffentlichkeit schützen, die verurteilte Person bestrafen und sie zusätzlich für die Zukunft in Freiheit rehabilitieren. Letzteres hat man auch versucht durch Abschreckung zu erreichen. Die Erreichung einer abschreckenden Wirkung wurde jedoch bereits damals stark angezweifelt, da dadurch die Wirksamkeit der Rehabilitierungsmaßnahmen reduziert wurde und die straffällige Person meist davon ausging, beim nächsten Mal nicht erwischt zu werden.
Die höchsten Richter in Karlsruhe hatten im Jahr 2006 festgestellt, dass Resozialisierung den besten Schutz vor neuen Straftaten biete. Damals wurden 96% der Inhaftierten nach Absitzen ihrer Gefängnisstrafe wieder in Freiheit entlassen. Der Sicherheit der Allgemeinheit wäre also am besten gedient, wenn die Resozialisierung erfolgreich ist.
Das Gefängnis und die dort zu verbüßende Freiheitsstrafe sind entwickelt worden, um zu vergelten. Die Legitimation der negativen, fast schon zerstörerische Folgen, die daraus entstanden, begründeten sich durch den altertümlichen Kerngedanken in der Entstehung: Wer entgegen den Normen der Gesellschaften handelt, müsse bestraft werden. Da körperliche Sanktionen oder gar die Todesstrafe bereits als inhuman galten, übernahm man den Entzug der Freiheit als Sanktionsmittel. Man nahm der gefangenen Person ihren freien Willen, die Selbstbestimmung und das grundlegende Recht auf Freiheit.

A prison sentence means intentionally inflicted suffering. It is not an error or a side effect (...) of an otherwise positive action.
Livio Ferrari, Massimo Pavarini

Trotz der in den 2020er Jahren humanen Grundsätze und Entwicklungen sowie ständiger Reformen, hat sich der vergeltende Grundcharakter nicht aus der Institution verabschiedet.
Die angestrebten Ziele der Institution Gefängnis waren der Schutz der Gesellschaft, Abschreckung potentieller Straftäter:innen und eine Art Generalprävention, da viele aus Furcht vor Strafe gar nicht erst in Versuchung gerieten, eine Straftat zu begehen. Ein wesentliches Ziel war jedoch die Bestrafung und gleichzeitige Resozialisierung. Gerade letzteres konnte in der damaligen Institution Gefängnis so nicht mehr umgesetzt werden, weil der Strafcharakter überwog. Auch durch eine kriminelle Tat, darf eine Person nicht ihre Rechte oder ihren Platz in der Gesellschaft verlieren.
Die Debatte wurde international relevant, obwohl anzumerken ist, dass die Standards von Land zu Land abwichen. Die Aberkennung zumindest einiger Menschenrechte bei Strafantritt blieb allerdings permanent erhalten.
Da die Institution Gefängnis die Ziele des Strafvollzugs nicht erreichte, ereignete sich Mitte der 2020er Jahre der Paradigmenwechsel: Strafe verhindert Besserung des Verhaltens und der Situation, die das Verhalten begründete.
Um die lang überfällige Entwicklung nachvollziehen zu können, müssen die Probleme der Institution, wie sie zuvor bestand, erläutert und die Grundpfeiler der Verbesserung, sowie die Humanisierung der Reaktion auf Delinquenz aufgezeigt werden. Postprison beschreibt eine neue Epoche des Umgangs mit Kriminalität, Prison den Auslöser.
Um die unerreichten Ziele und negativen Auswirkungen einer Freiheitsstrafe, beziehungsweise den Aufenthalt im Gefängnis auf Täter:innen und die Gesellschaft zu beenden, mussten sie zuerst als solche definiert werden. Zu differenzieren ist dabei zwischen den Charakteristika, die ein Gefängnis ausmachte, sowie den zwangsläufig daraus resultierenden Strukturen.

former functions & impact

Negative Charakteristiken der Institution Gefängnis sind bedingt durch mehrere Faktoren: Während der Strafcharakter und die Abschreckung sich direkt negativ auf die Gefangenen auswirken sollten, sind die wirtschaftlichen Faktoren, die Züge der totalen Institution und die der Überwachung eher Folgen aus dem System. Aus diesen Begebenheiten entwickelten sich Machtungleichheiten, ein fruchtbarer Boden für rassistische und sexuelle Gewalt, Diskriminierung und Unterdrückung. Hinsichtlich der Tendenz, dass der Großteil aller Gefangenen nach einer gewissen Zeit wieder in Freiheit leben würde (Laut Maelicke, 2019, erlange etwa 96 % der Inhaftierten wieder die Freiheit, mehr als 40% bereits nach weniger als einem Jahr), ein sehr widersprüchlicher Fakt.

Die Charakteristiken des Strafvollzugs wirkten sich in stark negativer Form auf die beteiligten Personen aus. Die Auswirkungen machten Täter:innen zu Opfern des Systems und begrenzten die Möglichkeiten, wieder Anschluss an das gesellschaftliche Leben zu finden. Die Institution Gefängnis ist an der Nichterreichung ihrer Ziele gescheitert und konnte daher nicht weiter existieren.

You cannot teach people to be free in captivity.
Livio Ferrari, Massimo Pavarini

To punish means to intentionally inflict pain upon norm breakers and to make them suffer for what they did. The deeper motive of punishment might be vengeance or retribution, but the social function is always the stabilization of the normative order in the face of threats to the validity of norms occasioned by their violation.
Johannes Feest und Sebastian Scheerer - No Prison

Strafe galt seit Jahrhunderten als das übliche Mittel, um mit unerwünschtem Verhalten umzugehen. Sie kann dabei unterschiedliche Zwecke verfolgen: einerseits straft sie durch Verlust der Macht, also durch Repression und Kontrolle, andererseits stellt sie einen symbolischen Akt dar, der den Regelbruch und die daraus entstandenen Verletzungen korrigieren soll. Sie stellt damit eine Form der Vergeltung dar, womit der vorherige Zustand durch die Strafe nicht erreicht werden kann (Zu differenzieren ist dabei die Kompensation: Geht es beispielsweise um eine entwendete Geldsumme, so kann der Verlust mit einer Rückzahlung kompensiert werden, dabei handelt es sich dann nicht um eine Strafe, sondern um Schadensersatz oder Wiedergutmachung).
In der Natur des Gefängnisses ist die Strafe fest verankert und lässt sich nicht davon lösen. Auch wenn sie seit der Aufklärung und besonders im 20. Jahrhundert durch die Resozialisierung modernisiert und akzeptabler gemacht wurde, blieb die Strafe überzogen, da sie sich nicht nur auf die körperliche Freiheit bezog. Sie verursachte Leid, verbessert aber die Gesellschaft nicht. Dennoch wurde sie hingenommen, weil sie vom Staat erteilt wurde.

It is intolerable that the penal justice system practically functions only as a kind of „dispenser of suffering“. To inflict pain, even to the author of a massacre, is useless because it does not contribute in any way to the improvement of society.
Livio Ferrari, Massimo Pavarini - No Prison

Die Überzogenheit zeigt sich besonders durch die automatische Bestrafung Dritter. Partner oder Kinder, die bei einem Haftantritt zurück gelassen wurden, hatten meist mit ähnlichen Konsequenzen, wie der materiellen Unsicherheit oder der Stigmatisierung, zu kämpfen.

Until the punitive paradigm of the criminal justice system is replaced with one of rehabilitation, familiar humiliations will be housed in different spaces.
Lisbet Portman - Scapegoat: Incarceration

Es wurde klar, dass ohne die Abwendung von der Strafe, niemals ein positiver Effekt im Umgang mit Delinquenz erreichbar ist. Nach psychologischen Erkenntnissen ist Strafe allgemein menschenfeindlich und grundsätzlich mit einem inhumanen Menschenbild verknüpft.

Der Begriff der totalen Institution wurde in den 1960er Jahren durch Ervin Goffman eingeführt und hat sich im Anschluss schnell als Fachbegriff in der Soziologie durchgesetzt. Er beschreibt einen Raum, der zumindest für eine gewisse Zeit von der restlichen Gesellschaft getrennt ist und eigenen, von der Außenwelt losgelösten, strikt geplanten Abläufen folgt. Die Tätigkeiten, die innerhalb der Institution ausgeführt werden, dienen einzig dem Ziel sie auszuführen. Totale Institutionen sind gekennzeichnet von stark ausgeprägten hierarchischen Strukturen und daraus entstehenden Subkulturen, so wie im Gefängnis.
Die totale Institution arbeitet gegen das Individuum, da sie versucht, die über die breite Masse zu bestimmen und sie zu kontrollieren.

Eng verbunden mit der Charakteristik der totalen Institution bedeutet das Gefängnis permanente Überwachung begründet durch das Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft, ebenso wie der Notwendigkeit der Unterbringung von vielen hundert Inhaftierten. Dieses Grundprinzip des Gefängniskomplexes – den Drang alles und jeden innerhalb zu kontrollieren – verursacht ein immenses Aufkommen an Sicherheitskontrollen und Personen, die diese durchführen. Im Kapitel Panoptismus wird darauf näher eingegangen.
Um die Kontrolle erfolgreich umsetzen zu können, braucht es wiederum detaillierte und konsequent durchgeführt Zeitpläne, die eine extreme Monotonie verursachen.

Die Häftlinge werden jeden Morgen geweckt, bekommen Vollpension, haben nur gleichgeschlechtliche Kontakte. Alles ist reglementiert, die totale Kontrolle. Was sie lernen, befähigt sie in erster Linie zum Überleben im Knast. Wenn sie entlassen werden, sollen sie dann plötzlich Verantwortung für ihr Leben übernehmen. Wie soll das funktionieren?
Anna Fischhaber

Auch das Gefängnis muss finanziert werden. In den 2020er Jahren wurde pro Person in Haft ca. 140€ pro Tag im europaweiten Schnitt ausgegeben. Da diese Kosten von Steuergeldern finanziert wurden – immerhin entgegen der (Teil-)Privatisierung, die zu Kapitalmaximierung auf Kosten der Inhaftierten ausgetragen worden wäre –, besteht selbstredend ein Interesse, die Kosten möglichst gering zu halten. Im Gegensatz zu beispielsweise Schulsanierungen, rückten Investitionen von Justizvollzugsanstalten trotz unbedingter Notwendigkeit oft in den Hintergrund. Der Wirtschaftsgedanke, also die Gewinnmaximierung, steht in direktem Kontrast zur Entfaltung von Individualität und Menschlichkeit.

Der abschreckende Charakter ist untrennbar mit der Idee des Gefängnisses verwoben, ebenso wie die daraus resultierenden negative Folgen. Die Abschreckung besteht aus zwei unterschiedliche Formen. Zum einen die „Generalprävention“, nach der Personen durch die reine Existenz des Gefängnisses bereits vor der kriminellen Taten davon ablassen. Zum anderen versucht sie die Verminderung des Risikos, eine weitere Tat zu begehen.
Der Erfolg der Abschreckung konnte nicht bewiesen werden, da die meisten Gewalttaten aus dem Affekt und einer Auswegslosigkeit heraus passierten. Noch dazu bewiesen die Rückfallquoten in Deutschland, dass Abschreckung nicht ausreichend funktionierte.

Most people who refrain from problematic conducts do so for reasons unconnected to the penal law.
Thomas Mathiesen

Mit dem Bau von Gebäuden eine abschreckende Wirkung erzielen zu wollen, ist ebenso sinnlos und hat in der Folge eher negative Auswirkungen auf Heilung und Resozialisierung. Dient die architektonische Ausarbeitung dennoch einem solchen Zweck, so führt sie lediglich zur Förderung eines ungesunden Klimas und gewalttätigen Verhaltens.

Auch wenn der Heilungsprozess und die Resozialisierung seit der Nachkriegszeit des Zweiten Weltkrieges in den Vordergrund rückte, so verschwand sie im Laufe der Zeit wieder im Schatten des Strafens. Die Idee der Rehabilitierung habe dem Wunsch nach Vergeltung weichen müssen, die Praxis der Therapie sei durch die der Wegsperrung ersetzt worden, so auch Ramsbrock in ihrem Buch Geschlossene Gesellschaft.
Die Bestrafung als Erziehungsmethode gilt in der Soziologie ohnehin weder abschreckend, noch bessernd.
Dass die Strafe einer Resozialisierung nicht zuträglich ist, liegt in der Gesamtheit ihrer negativen Auswirkungen. Sie spricht dem Bestraften das Potential zur Besserung und Heilung von vornherein ab. Es drängt sich die Frage auf, wie eine Besserung der Situation eintreten kann, wenn die Resozialisierung unter solch negativen Vorzeichen beginnt.

Während in den vorher beschriebenen Funktionen des Gefängnisses die Strafe als Legitimierung für die Institution Gefängnis aufgeführt wurde, geht es hier um die über den Entzug der körperlichen Freiheit hinaus entstehenden Strafen. Auch verurteilte Straftäter:innen sollten ihre Würde und ihre verbrieften Menschenrechte nicht verlieren.

The idea of imprisonment ist not to drive the culprit into desperation, deprivation, and destruction.
Johannes Feest und Sebastian Scheerer - No Prison

Der überzogene Strafcharakter verhinderte die Übermittlung der Werte einer freien und demokratischen Gesellschaft. Er verursachte Zwangsarbeit, war nicht wirtschaftlich vollziehbar und trug zur Verschlechterung des Lebens unschuldiger Dritter bei.

It would be an act of honesty to rename prison institutions as houses for the poor.
Vincenzo Ruggiero - No Prison

Personen, die eine Freiheitsstrafe antraten, kamen meist aus den unteren, armen Schichten der Gesellschaft, besaßen einen geringen Bildungsstand und befanden sich häufig in Arbeitslosigkeit. Viele Verbrechen sind und waren auch damals oft durch Armut begründet. Dadurch entstand eine stärkere Verbindung zwischen Armut und Gefängnis, als zwischen Gefährlichkeit und Gefängnis. So, wie die Gefängnisstrukturen und -regularien bestanden, verstärkten sie die Armut der Personen während der Haft und nahmen ihnen die Möglichkeit in ein Leben ohne Armut zurückzukehren. Das Fehlen oder der Verlust einer Krankenversicherung und einer adäquaten Altersvorsorge zur Zeit der Haft verstärkte die soziale Diskriminierung erheblich.

Besonders in den Vereinigten Staaten wurde der Rassismus in Haftanstalten sehr deutlich. Viele der Gefängnisse sind aus ehemaligen Sklavenfarmen entstanden und die Gefängnispopulation bestand zu 33% aus Schwarzen, während sie nur 12% der Gesamtpopulation der Vereinigten Staaten ausmachten.
Auch innerhalb der Gefängnisse waren Diskriminierung und Rassismus an der Tagesordnung. Darauf wird unter dem Punkt „Subkultur“ stärker eingegangen.

Bestrafung bedeutet Hierarchie: Die dominante Instanz sanktioniert die Untergeordnete und kann dies nur aufgrund der Rangordnung. Das Machtgefälle ist in der Institution Gefängnis omnipräsent.

In den meisten Fällen liegen Taten (sexueller) Gewalt Machtungleichheiten oder objektivierende soziale Strukturen zugrunde. Isolation und Demütigung tragen zur Machtungleichheit weiter bei und verstärken das Machtgefälle. Eine Person, die permanent unausgeglichenen Machtverhältnissen ausgesetzt ist, wird diese auch immer auf andere projizieren.
Viele (Gewalt-)Verbrechen geschahen zum Etablieren von Macht. Allgemein entstanden durch die bestehenden Strukturen soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten. Kriminalität passierte in allen Gesellschaftsschichten, Nationalitäten und in jeder Nachbarschaft, obwohl das Lösen von (wirtschaftlichen) Problemen abhängig von Alter, Geschlecht und wirtschaftlichem Status variierte, genau wie die Schwere dieser Probleme. Gleich blieb nur die Basis an Werten, durch die illegale Optionen den legalen vorgezogen werden.

The dominant culture is the predominant key to crime.
Prison Research Education Action Project

Nur die potentielle Veränderungen der Sozialstrukturen innerhalb der Gesellschaft kann die Vorkommnisse der Kriminalität langfristig reduzieren.

Neither slavery nor involuntary servitude, except as a punishment for crime whereof the party shall have been duly convicted, shall exist within the United States, or any place subject to their jurisdiction.
Artikel XIII, Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika, 1787

Mit dem 13. Zusatzartikel zur Verfassung der USA wurde die Sklaverei abgeschafft – mit Ausnahme für Personen, die eine kriminelle Tat begangen haben. Obwohl es diese Klausel in Europa nicht gibt, herrschten in den europäischen Haftanstalten jedoch ebenfalls erzwungene Arbeitsverhältnisse vor. Dem Häftling war eine bestimmte Arbeit mit enorm niedriger Bezahlung vorgeschrieben (Der Stundenlohn in Deutschland betrug zwischen einem und drei Euro, während der reguläre Mindestlohn zur selben Zeit bei 9,19€ lag, obwohl die Tätigkeiten teilweise die gleichen wie „draußen“ waren).
Bereits in den 1960er Jahren gab es Bestrebungen, einen an den Mindestlohn angepassten Arbeitslohn, der es ermöglichte beispielsweise in die Rentenversicherung einzuzahlen, einzuführen. Diese Entwicklung geriet jedoch in Vergessenheit.
Weitere motivierende Faktoren wie beispielsweise eine gewisse zeitliche Freizügigkeit bei der Ausübung der Arbeit wurde zugunsten von Sicherheitsvorkehrungen nicht gewährt. Dadurch entstand ein Teufelskreis: Die häufigste Ursache für Kriminalität, nämlich Armut, kann mit geringen Löhnen nicht überwunden werden. Noch dazu wurde der Eindruck übermittelt, dass legale Arbeit sich nicht lohne.

Die Subkultur ist ein kompliziertes Konstrukt, das mit dem System Strafvollzug untrennbar verwoben ist. Wo Unfreiheit herrscht, wird es immer einen mächtigen Drang nach Freiheit geben. Nach allem, was verboten ist.
Martin Kotynek, Stephan Lebert, Daniel Müller

In Haftanstalten wurde von einer Schule der Kriminalität gesprochen, so Manuel Matzke, der Vorsitzende der GG/BO. Das Gefängnis fördert Angst und Kriminalität und schafft einen fruchtbaren Boden für Subkulturen, die für eine ganz eigene Dynamik unter den Gefangenen sorge. Es entstand eine Eigendynamik der Kontrolle unter den Inhaftierten durch erzwungene Verhaltensweisen, sowie Waren- und Drogenhandel. Trotz hoher Sicherheitsstandards und Abschottung von der Außenwelt gelangten immer wieder Sucht- und Betäubungsmittel ins Innere, die dem Ziel der Rehabilitierung entgegen wirkten.
Zudem wurde während einer Freiheitsstrafe die Sexualität des Gefangenen durch erzwungene Enthaltsamkeit unterdrückt. Zwangshomosexualität, Vergewaltigung und Etablierung von Macht innerhalb der Subkulturen stellten ein häufiges Ventil für diesen künstlich erzeugten Druck dar.

Für die einen ist das Gefängnis ein Garant für Sicherheit, für die anderen stellt es die Institution dar, die Gerechtigkeit schafft, und wieder andere sehen in ihm eine Resozialisierungschance. In jedem Fall verspricht das Gefängnis die Erfüllung vieler Wünsche, die man an den Rechtsstaat haben kann, und beruhigt viele Ängste. Was das Gefängnis in Wirklichkeit bewirkt oder überhaupt bewirken kann, spielt dabei keine große Rolle.
Thomas Galli

Sicherheit bedeutet materielles und seelisches Wohlbefinden, Vertrauen in die Zukunft und die Freiheit von Furcht. Jeder Mensch hat ein Grundbedürfnis danach, und dies zu gewährleisten, macht sich jede Regierung (unabhängig von den Mitteln) zur Aufgabe.
Die Sicherheit, die das Gefängnis symbolisiert, ist durchaus ein wichtiger Faktor für die Gesellschaft. Das Wegsperren von Kriminellen bedeutet, dass sie dem Alltag entzogen sind und keine unmittelbare Gefahr mehr darstellen. Dabei wird häufig vernachlässigt, dass die meisten Strafgefangenen irgendwann wieder entlassen werden.
Es handelte sich lediglich um eine scheinbare Sicherheit, mit der man in Kauf nahm, dass Strafgefangene den anderen hier beschriebenen Faktoren und Zuständen ausgesetzt wurden.

Die Abschottung von Gefangenen oder Gefängnissen selbst hat sich in keiner Weise als praktikabel erwiesen. Die Notwendigkeit der logistischen Abschottung wird mit der potentiellen Fluchtgefahr begründet. Sie dient aber auch der Unsichtbarmachung gegenüber der Gesellschaft. Die durch die für notwendig gehaltenen Sicherheitskontrollen innerhalb verursachten zudem die Isolation und Entfremdung von Familie, Freunden und Alltag. Abschottung geht über in komplette Überwachung und Kontrolle.
Fluchtversuche, Gewalt und Drogenkonsum erhöhten die Bemühungen zu noch stärkerer Abschottung und verursachten hohe Personalkosten und Kosten für Sicherheitsvorkehrungen. Die daraus entstandenen, stark reglementierten Abläufe schränkten die Selbstbestimmung der Gefangenen weiter ein.

In den USA beispielsweise hatte sich der Begriff prison industrial complex etabliert. Er beschreibt die zunehmende Privatisierung von Gefängnissen zur Gewinnmaximierung. Dadurch wurde das Interesse von beispielsweise Hersteller:innen von Electronic Monitoring-Systemen (die Verwendung von elektronischen Fußfesseln) verstärkt, dass möglichst viele Menschen zum Tragen von elektronischen Fußfesseln verurteilt wurden. Der prison industrial complex profitierte von der Ausnutzung der Gefangenen. Für diese Praxis wurde der Begriff human warehousing verwendet. Zunächst nur für die Unterbringung alter Menschen in einer Pflegeeinrichtung gedacht, beschrieb er auch die Verwahrung von Menschen in einem industriell genutzten Gebäude. Ein privatisiertes Gefängnis ist nur profitabel bei voller Auslastung.
Auch wenn es zur Privatisierung von Gefängnissen in Europa nur in den seltensten Fällen gekommen war, so bestimmte die wirtschaftliche Fähigkeit der Institution dennoch in vollem Umfang das Leben der Inhaftierten.

After a period of detention incarcerated individuals who were unemployed before, become unemployable.
Vincenzo Ruggiero - No Prison

Das Verbüßen einer Freiheitsstrafe bedeutete immer auch Stigmatisierung des Gefangenen. Nach der Strafe eine Arbeit zu finden, wurde dadurch erheblich erschwert. Dies aber trug zur Erhöhung der Rückfallquote bei, da ohne Arbeit wieder die Armut drohte. Vorurteile gegenüber ehemaligen Strafgefangenen mussten erst in der Gesellschaft abgebaut werden, damit ehemaligen Strafgefangenen eine zweite Chance gegeben werden konnte.

Adiyaman, Gizem; Luciano, Lúcia: Realitäter*innen: Wie zeitgemäß und sinnvoll sind Haftstrafen und Gefängnisse? [Audio-Podcast] 07.05.2020.

Ahlheim, Karl-Heinz: Meyers kleines Lexikon Psychologie. Bibliographisches Institut Berlin, 1986.

Bögelein, Nicole: Zwecke, Funktionen, Wahrnehmung und Wirkung von Strafe. Springer Verlag, Berlin, 2015.
Council of Europe Annual Penal Statistics. O.J., abgerufen von http://wp.unil.ch/space, (21.09.2020).

Ferrari, Livio; Pavarini, Massimo: No Prison. EG Press Limited, Wales 2018.

Fischhaber, Anna: „Gefängnis ist keine Lösung“ Resozialisierung. In: Süddeutsche Zeitung, 5. Juni 2015, www.sueddeutsche.de/leben/resozialisierung-gefaengnis-ist-keine-loesung-1.2505479, abgerufen am 04.03.2020

Galli, Thomas: Weggesperrt: Warum Gefängnisse niemandem nützen. Edition Körber, Hamburg 2020.
Goffmann , Ervin: Asyle - Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen. Suhrkamp Verlag, Berlin, 1961.

Gramlich, John: The gap between the number of blacks and whites in prison is shrinking. In Pew Research Center, 30.04.2019, abgerufen von www.pewresearch.org/fact-tank/2019/04/30/shrinking-gap-between-number-of-blacks-and-whites-in-prison/ (03.10.2020).

Großekathöfer, Maik: Dieser Kriminologe will die Gefängnisstrafe abschaffen. In: Der Spiegel, 25.02.2020, abgerufen von www.spiegel.de/panorama/justiz/johannes-feest-dieser-kriminologe-will-die-gefaengnisstrafe-abschaffen-a-e2edbcf4-2b2b-4bf1-a35c-c885877badec, (21.09.2020).

Himada, Nasrin; Lee, Chris: Scapegoat 7 - Incarceration. SCAPEGOAT Publications, Toronto 2014.

Hoerster, Norbert: Muss Strafe sein? Positionen der Philosophie. C.H.Beck, München, 2012.

Holzhey, Pedro: Mein Mord und seine Folgen. In: Was wäre wenn, www.www-mag. de/debatten/beitrag/mein-mord-und-seine-folgen, abgerufen am 04.03.2020

Kay, Jonothan: The disgrace of America’s prison-industrial complex. In National Post, 23.03.2013, abgerufen von https://www.pressreader.com/canada/national-post-national-edition/20130323/281801396410269 (04.10.2020).

Kotynek, Martin; Lebert ,Stephan; Müller, Daniel: Die Schlechterungsanstalt. In: Die Zeit, 16.08.2020, www.zeit.de/2012/34/DOS-Gefaengnisse-Deutschland-Gewalt.

Maelicke, Bernd: Das Knast-Dilemma. Wegsperren oder resozialisieren? Eine Streitschrift. München, C. Bertelsmann Verlag, 2019.

Mathiesen, Thomas: Prison on trial. Waterside Press, Winchester 2006.

Mingus, Mia: Transformative Justice - A Brief Description. Transform Harm https:// transformharm.org/transformative-justice-a-brief-description/ (02.10.2020).

Prantl, Heribert: Haft ist nicht gleich Haft - Haftbedingungen in Deutschland. In: Süddeutsche Zeitung, 14. August 2016, abgerufen von www.sueddeutsche.de/politik/haftbedingungen-in-deutschland-haft-ist-nicht-gleich-haft-1.3117627 (04.03.2020).

Prison Research Education Action Project: Instead Of Prisons: A Handbook For Abolitionists. Prison Research Education Action Project, 1976, abgerufen von www.prisonpolicy.org/scans/instead_of_prisons/index.shtml (10.09.2020).

Ramsbrock, Amelie: Geschlossene Gesellschat: Das Gefängnis als Sozialversuch - eine bundesweite Geschichte. S. Fischer Verlag GmbH 2020.

Stöver, Prof. Dr. Heino: “Totale Institutionen”: Welche Implikationen für das Gefängnis? Vortrag 22.01.2010, abgerufen von http://gesundinhaft.eu/wp-content/uploads/ Vortrag-Totale-Institutionen-_internetversion_1.pdf (03.10.2020).

Telley, Ramzy: The Wildest Show in the South: The Angola Prison Rodeo [Vimeo] abgerufen von https://vimeo.com/20577121 (03.10.2020).

Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika, 1787, abgerufen von https://usa. usembassy.de/etexts/gov/gov-constitutiond.pdf (04.10.2020).