fundamentals & methods

Dem sich seit den 2020er Jahren entwickelten Paradigmenwechsel bezüglich der Reaktion auf Delinquenz ging die Dementierung alter und die Festsetzung neuer Werte voraus. Das vorangegangene Konzept war von der Gesellschaft aus dem Grund akzeptiert, da sich der Großteil davon abwenden konnte. Erst durch die Aufmerksamkeit gegenüber der bestehenden Diskriminierung von Teilen der Gesellschaft entstand eine breite Zustimmung für die Dekonstruktion des Gefängnisses.
Der Entschluss, sich von Strafe zu lösen und sich zur Resozialisierung zu entwickeln, war aber dennoch in einer solch kurzen Zeit überraschend. Um zu einer humanen und nachhaltigen Reaktion auf Kriminalität zu kommen, musste ein Umdenken der Gesellschaft stattfinden. Anstatt Vergeltung als eigennütziges, altmodisches Ventil hieß es, einen Weg zu finden, der sich positiv auf die Lebensqualität aller auswirkt und dennoch Konsequenzen gegenüber Delinquenten für Fehltritte fordert.

Es musste sichergestellt werden, dass mit der Umsetzung der Freiheitsstrafe kein zusätzliches, vergebliches Leid verursacht wird. Die neue Antwort auf kriminelles Handeln muss zum Ziel haben, das Leid der Regelbrechenden auf ein Minimum zu reduzieren, sodass die einzige Strafe die des Entzugs der körperlichen Freiheit zum Schutz der Allgemeinheit ist. Unabhängig von der Straftat muss die Würde des Menschen respektiert und auf soziale Reintegration abgezielt werden. Das Ziel einer humanen Reaktion auf Kriminalität ist also nur erreichbar, wenn der Blick von Strafe hin zu einer rationalen, weitsichtigen und kompensierenden Art des Umgangs mit Delinquenz verlagert wird.

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Allem voran ging die Festlegung moralisch-ethischer Werte und die Definition der Methoden zu deren Umsetzung. Es entwickelte sich die Einsicht, dass nur durch das Absehen von Strafe langfristig ein menschenwürdiger und auf lange Sicht effektiver Umgang mit Kriminalität möglich sein wird.
Die Bestrafung als Reaktion auf Delinquenz ging auf das blutrünstige Grundverständnis der letzten Jahrtausende zurück. Das menschengemachte Bedürfnis nach Vergeltung führte zu der Annahme, dass es keine Alternativen im Umgang mit Regelbruch geben könne. Das Konstrukt setzte sich aus der Vergeltung, der Abschreckung und den frühen Zügen der Resozialisierung zusammen. Die Resozialisierung diente als Legitimierung, dass das Gefängnis doch so lange Bestand hatte und von der Gesellschaft akzeptiert wurde.
Obwohl Vergeltung und Rache bereits weit vorher als primitiv und nicht zielführend galten, so fanden sie in der zivilisierten Gesellschaft des 20. und 21. Jahrhunderts im Strafvollzug noch immer unter der Rechtfertigung statt, dass sie notwendig war, um den/ die Täter:in zu resozialisieren und von zukünftigen Taten abzuschrecken. Mittlerweile wird vom Zufügen weiteren Leids auf ein ohnehin negatives Ereignis abgesehen. Strafe dient nicht mehr als Reaktion auf Fehler, sie kann auch das Zerstörte nicht wieder zurück bringen. Dabei ist nicht gemeint, dass jemanden, der gegen die Regeln unserer Gesellschaft verstößt, keine Konsequenzen zu erwarten hat. Weg von der Strafe, hin zur Prävention. Weg vom Strafsystem, hin zum Reaktionssystem.

Es ist also von ganz entscheidender Bedeutung, zu erkennen, wie Vergeltung, Schuld, Reue, Wiedergutmachung und Vergebung zusammenhängen und wie diese Elemente dazu dienen, einerseits und gegenseitige Verletzungen zu reduzieren und andererseits die Bindung der Menschen zueinander zu stärken. Rache fördert jedoch in aller Regel nur weitere Angst und Gewalt.
Thomas Galli

Das übergeordnete Ziel ist es, entweder bereits vor einer eventuellen Tat die Beweggründe aus dem Weg zu schaffen, oder, sollte es doch zu einem Regelbruch gekommen sein, mit der Reaktion den vorherigen oder gar einen besseren Zustand herzustellen. Es geht um die Suche nach einer Lösung für alle drei Parteien, den Staat, den/ die Täter:in und das Opfer. Die Frage, warum die Tat begangen wurde und wie sie zukünftig vermieden werden könnte, rückt so ins Zentrum.
Trotz der Unterteilung der Punkte in Grundwerte und Methoden ist anzumerken, dass keiner der Ansätze alleine hätte funktionieren können. Jede Situation ist individuell zu werten und einzuschätzen und erfordert unterschiedliche Herangehensweisen. Die folgenden Punkte stellen also eine Verbindung von Instrumenten und den dazu gehörenden moralischen Grundwerten dar und zeigen die neue Zielsetzung des Umgangs mit Kriminalität.

Unter dem Begriff „Kriminalität“ fassen wir die unterschiedlichsten Formen von gesellschaftlich unerwünschtem Verhalten zusammen. Die Reaktion darauf muss diesen Unterschieden Rechnung tragen. Eine Möglichkeit bei uns wäre, Straftätern, die zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurden, etwas für sie Sinnvolles anzubieten, was sie mit dieser Zeit anfangen können: eine Ausbildung, eine Therapie oder auch direkt einen Arbeitsplatz, damit sie Geld verdienen, mit dem sie das Opfer entschädigen können.
Johannes Feest

Die fundamentals beschreiben die Grundsätze des neuen Reaktionssystems, mit dem heute Fehltritte bewältigt werden.

Indem eine Person einer anderen Unrecht antut, entsteht ein Ungleichgewicht, welches wieder ausgeglichen werden muss. Dabei muss gegenüber dem vorher gültigen Grundsatz unterschieden werden, der besagte, dass ein Ausgleich nur durch Zufügen eines weiteren Schadens geschehen könne. Auf einen Regelbruch oder eine kriminelle Tat folgt eine Reaktion, die erneut eine Balance der Gerechtigkeit herstellt. Dabei werden die Bedürfnisse des Opfers in den Vordergrund gestellt. Der Rache- oder Vergeltungsgedanke allerdings verschwindet aus der Debatte: Die Folge auf Delinquenz ist die Auseinandersetzung mit den Fragen, warum ist es passiert und wie ist der Zustand zuvor wiederherzustellen. Die Reaktion auf Verbrechen darf in der modernen, humanen Gesellschaft, nach der wir streben, keinen weiteren Schaden hervorrufen, auch nicht für die Seite, die den Schaden verursachte.

Der Wunsch nach Schutz und Sicherheit ist tief in uns verankert. Dennoch verursachte Angst als Antrieb viele Konflikte und erzeugt Emotionen, resultierend aus dem Wunsch nach körperlicher und seelischer Unversehrtheit. Jede Person hat ein Recht auf diese Unversehrtheit, daher muss sie möglichst dauerhaft sichergestellt werden. Sollte ebendiese Unversehrtheit gefährdet werden, so muss der Auslöser - also die Gründe, die den/die Täter:in zu seiner/ihrer Tat brachten - ausfindig gemacht und behoben werden. So kann die Gesellschaft effektiv und langfristig geschützt werden.
Das Schutzziel für die Mitglieder dieser Gesellschaft bezieht sich aber auch auf die Menschen, die Verbrechen verübt haben. Dennoch muss es weiter in Einzelfällen möglich sein, die Gesellschaft vor potentiellen Täter:innen durch Freiheitsentzug zu schützen.

Die Existenz von Gefängnissen wurde früher von der Gesellschaft aufgrund der Angst, verletzt oder viktimisiert zu werden, gutgeheißen. Um also innerhalb der Gesellschaft die Akzeptanz des Reaktionssystems, anstelle des Strafsystems zu erhöhen, muss immer noch Aufklärung betrieben werden. Nicht ansatzweise jeder/jede Kriminelle ist eine Gefahr für die Allgemeinheit, stattdessen geht eine größere Gefahr von ihm oder ihr aus, sollte er oder sie keinen Anschluss in der Gesellschaft finden. Das Gefängnissystem entstand aus sozialen Ungerechtigkeiten, die abgeschafft werden müssen.
Doch das Umdenken fordert mehr: Personen, die mit dem Recht in Konflikt geraten sind, werden nicht mehr vor der Gesellschaft versteckt. Ein offener Umgang mit diesen Themen war wichtig zur Einführung neuer Werte und Prozesse. Von einer in sozialen Strukturen eingegliederten, zufriedenen Person geht weniger Gefahr aus. Dies kann zum einen durch reine Aufklärung erfolgen, aber auch durch räumlich-urbane Koexistenz im Stadtraum gefördert und verstärkt werden.
Um der Angst vor Verletzung und Viktimisierung entgegen zu wirken, liegt der Fokus auf der Stärkung lokaler Gemeinschaft. Diese generiert ein reelles Gefühl von Sicherheit und rückt weitere soziale Förderungsmechanismen im Vordergrund.

Unterstützung durch Politik und Medien (ist unverzichtbar), auch weil nachhaltige Resozialisierung erst durch demokratische Prozesse und Meinungsbildung in der Öffentlichkeit erreicht werden und abgesichert werden kann.
Bernd Maelicke

Eine wesentliche Rolle spielen dabei die Auffassungen und Äußerungen aus der Politik und den Medien. Aus den drei Instanzen Gesellschaft, Politik und Medien entwickelt sich dann ein eigenständiger Mechanismus, der zu mehr Offenheit und Transparenz führt.

Das Fehlen von Selbstbestimmung begründete sich im Gefängnis durch seine ideologische Historie. Dem Delinquenten wurde abgesprochen, seinen Alltag frei zu gestalten. Die Selbstbestimmung gehört zu einem der Grundwerte des neuen Systems, da festgestellt wurde, das ohne die eigene Handelsbereitschaft, -möglichkeit und Entscheiden kein Mensch zu einem sozial anerkannten Leben in Autotonomie kommen kann. Die Fähigkeit und Möglichkeit, selbst über sein Leben entscheiden zu können, selbstständig zu sein und einen Sinn darin zu erkennen muss erlernt und beherrscht werden. Hinzu kommen Respekt und Vertrauen, durch die erst die Motivation zur Autonomie entwickelt werden kann.
All diese Punkte sind nicht losgelöst von der Enthierarchisierung und die daraus entstehende Auseinandersetzung der Notwendigkeit von permanenter Kontrolle zu sehen.

In vielen Bereichen des Lebens in Freiheit erfolgte in den letzten Jahrzehnten ein Abbau der Hierarchien. Durch das Abgeben von Verantwortung gleichen sich die Machtverhältnisse verschiedener Personen an und steigern gleichermaßen die Motivation, ebendieser Verantwortung gerecht zu werden. Der Abbau von Hierarchie bedeutet also nicht Kontrollverlust, sondern das gezielte Abgeben von Kontrolle, um Potentiale zu fördern und aus dem entgegengebrachten Vertrauen zu profitieren. In unterdrückenden Systemen ist eine eigene, positive Entfaltung nicht oder nur schwer möglich.
Hinzu kommt, dass in den meisten Fällen der/die Täter:in aus Haushalten stammt, in denen verschobene Machtverhältnisse vorherrschen und diese in gleicher oder ähnlicher Form weitergeben. Solchen Ausprägungen kann nur entgegen gewirkt werden, wenn sich die Konditionen verändern.

Wie kann ein Mensch in Gefangenschaft das Leben in Freiheit erlernen? Wie kann ein Mensch lernen, sein Leben autonom zu bestreiten, wenn ein fest bestimmter, minutiöser Rhythmus seine/ihre potentielle Resozialisierung, und damit seine/ihre Transformation bestimmt? Der Grundsatz der Angleichung an das normale Leben (StGB § 3) fand bereits im Strafgesetzbuch bis in die 2020er Jahre seinen Platz. Nur wurde dies zugunsten von Sicherheits- und Kontrollvorgaben in den seltensten Fällen auch auf akzeptable Art umgesetzt. Nun genießt dieser Punkt eine hohe Relevanz, da ansonsten das im Interesse aller liegende Ziel der Rückführung in die Gesellschaft nicht erreicht werden kann.

Transparenz genießt in den moralisch-ethischen Grundwerten eine besondere Aufmerksamkeit. Sie funktioniert in beiden Richtungen zwischen der regelbefolgenden Gesellschaft und dem/der Regelbrecher:in. Entgegen der früher vorherrschenden „Aus dem Auge, aus dem Sinn“-Mentalität hat die Gesellschaft nun die Aufgabe aber auch die Möglichkeit, sich mit dem Leben der Delinquenten zu befassen. So wird der/die Regelbrecher:in nicht mehr durch die Abschottung in einer Institution zur Verwahrung verborgen.

We propose to make known what the prison is: who goes there, how and why they go there, what happens there, and what the life of the prisoners is, and that, equally, of the surveillance personnel; what the buildings, the food, and hygiene are like; how the internal regulations, medical control, and the workshops function; how one gets out and what it is to be, in our society, one of those who came out.
Groupe d’Information sur les Prisons

Eines der prägnantesten Argumente für die Abschaffung der Gefängnisse war das der Finanzierung. Trotz einer hohen Rückfallquote (zwischen 2004 und 2013 betrug sie in Deutschland etwa 48%) zahlte der deutsche Staat im Schnitt 50 000 € pro Gefangenen pro Jahr durch Steuergelder. Obwohl die Verstaatlichung nicht aufgehoben wurde, erweist es sich als weitaus effizienter, kurzfristig mehr in Prävention zu investieren, um langfristig weniger auszugeben. Da die Kosten der Reaktion auf Delinquenz und die der Resozialisierung immer noch vom Staat getragen werden, steht der wirtschaftliche Gedanke natürlich immer noch an hoher Stelle.

Prävention ist als Weiterentwicklung der veralteten, nicht wirksamen Abschreckung zu verstehen. Damit bildet sie einen sehr wichtigen Teil des Umschwungs, der von der Allgemeinheit am meisten angenommen und für relevant befunden wurde. Auch wenn zuvor bereits Arbeit zur Vorbeugung von Kriminalität geleistet wurde, so wurde sie stets losgelöst vom Strafvollzug gesehen. Die Prävention lässt sich aber insofern nicht vom Umgang mit Kriminalität lösen, als dass sie am ehesten langfristig funktioniert.

Der Begriff Prävention beschreibt Aktionen, die zur Folge haben sollen, Risiken oder Gefahren zu reduzieren oder ganz zu umgehen. Er ist nicht vom Umgang mit Delinquenz trennbar, weder vor dem Begehen einer Tat, noch danach, noch von den nicht direkt betroffenen Personen. Der Präventionsbegriff beschreibt in der Erweiterung also eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft, um Kriminalität erfolgreich vorzubeugen.

Prävention wird in drei Kategorien unterteilt: Primäre, sekundäre und tertiäre Prävention, oder auch Prävention, Intervention und Postvention. Während die primäre Prävention über Wertevermittlung und dem Trainieren von Konfliktbewältigungsstrategien Fehltaten und Regelbrüche vorzubeugen versucht, bezieht sich die sekundäre Prävention konkreter auf Risikogruppen oder bereits geschehene Taten und deren Täter:innen und Opfer. In der tertiären Prävention macht man es sich zum Ziel, die Rückfallwahrscheinlichkeit zu reduzieren.

To correct is to right a wrong; to rehabilitate is to restore.
Cheri Mossburg, Steve Almasy

Kommt es dennoch zu einem Regelbruch oder einer kriminellen Tat, setzen Maßnahmen zur Resozialisierung ein. Sie sind nicht trennbar von denen der Intervention und Postvention.
Dem Begriff Resozialisierung geht die Annahme voraus, dass der regelbrechenden Person ohne Zutun ein Rückweg in den sozialen Alltag nicht möglich ist. Um also eine Verschiebung der Prioritäten, die zu der Straftat geführt haben, zu vollziehen, muss die Motivation, ein straffreies Leben im Rahmen der gesellschaftlichen Norm zu führen, gestärkt werden.
Der Fokus muss auf den Erfolg der Heilung der Beteiligten, also Täter:in und Opfer, liegen. Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es einer ebenso heilenden Umgebung, sowie des Willens und Motivation der Beteiligten.
Ein legal handelnder Freundeskreis, die Instandhaltung oder gar die Neuentwicklung sozialer Kontakte und der daraus resultierende soziale und finanzielle Rückhalt, Bildung und die Möglichkeit auf eine sinnstiftende Arbeit sind grundlegend für ein Leben fernab der Kriminalität.
Dieses für die Resozialisierung festgesteckte Ziel besteht aus komplexen Prozessen, die bei jedem/r Täter:in variieren und nur wechselseitig funktionieren – Täter:in und Gesellschaft müssen zusammen arbeiten. Dazu gehören in der konkreten Umsetzung beispielsweise Wohngruppen, Betreuungsbeamte, therapeutische Gemeinschaften, Einzel- und Gruppentherapien, begleitete Übergänge, Entlassungsurlaub und nachgehende Betreuung, also wiederum Teile der Prävention. Die Aufgabe der Gesellschaft liegt darin, Stigmatisierung zu vermeiden und den/die Täter:in wieder aufzunehmen, um einen Teufelskreis zurück in die Kriminalität zu verhindern. Der respektvolle, humanistische Umgang mit den Regelbrechern und das Prinzip der Normalität, also des Angleichungsgrundsatzes, stellen Schlüsselfunktionen dar.

An institution is not just a place, but a mindset.
Liat Ben-Moshe - Scapegoat: Incarceration

Obwohl eine Institution erst einmal nicht unbedingt negativ konnotiert sein muss, bringt sie im großen Maßstab aufgrund von Organisations- und Strukturierungsmaßnahmen negative Auswirkungen auf die Entwicklung und Entfaltung des Individuums mit sich, beziehungsweise lässt diese nicht zu. Damit ist die Deinstitutionalisierung, also die Auflösung der Institution, der anonymen Maschine die dahinter wirkt eine Methode der Entgegnung auf Kriminalität. Die Deinstitutionalisierung kann als Transfer von Menschen mit psychischen, intellektuellen oder entwicklungsbedingten Einschränkungen aus staatlichen Institutionen oder Kliniken in kleinmaßstäbliche, betreute Gemeinden definiert werden. Sie geht einher mit der Schließung der Institution.
Im Kontext der Deinstitutionalisierung steht der Begriff decarceration: Besonders bei kleinen Delikten ist durch eine Unterbrechung des Lebens aufgrund des Freiheitsentzug mit negativen Folgen zu rechnen. Decarceration beschrieb also den Prozess die Notwendigkeit des Freiheitsentzuges zu hinterfragen und diesen anschließend nur dann zu verhängen, wenn damit eine akute Gefährdung der Gesellschaft einher geht. Dieser Prozess wurde in den letzten Jahren bereits erfolgreich etabliert.

Die Übernahme von Verantwortung durch den/die Täter:in ist ausschlaggebend für den Erfolg des Reaktionssystems. Anstatt der reinen Zuweisung von Schuld wird versucht, den/die Täter:in durch die Übernahme der Verantwortung für seine/ihre Tat zur Einsicht zu bewegen, um eine eventuelle Wiederholung der Tat zu verhindern. Nach dieser Einsicht werden Maßnahmen zur Wiedergutmachung entwickelt. Das Stichwort hierfür ist Restorative Justice. Ziel ist durch die Übernahme von Verantwortung und weiterer fallbezogener Konsequenzen die Situation vor der Tat wiederherzustellen. Obwohl Restorative Justice unseren aktuellen Grundwerten folgt, sollte die Wiederherstellung der Gerechtigkeit nicht mit Vergeltung verwechselt werden.
Zwei Methoden des Restorative Justice sind dabei die Mediation und der Täter-Opfer-Ausgleich. Während ersteres eine Methode der Konfliktbearbeitung darstellt, wird letzteres als tatsächliche rechtliche Folge oder als Kriterium der Konsequenzzumessung angewendet.

Transformative justice means finding ways to hold each other accountable not through state-sanctioned means. Not through the courts, not through the police, not through punishment, not through the carceral system.

Why not focus on designing more community centres for youth, health clinics, schools, and recreation facilities rather than prisons? What would it mean to move away from building carceral spaces?
Nasrin Himada - The Funambulist: Carceral Spaces

Die Implementierung von Strategien im Sinne des Transformative Justice ist für einen humanen Umgang mit Kriminalität unumgänglich. Dabei geht es darum, auf Gewalt nicht mit mehr Gewalt zu reagieren, sondern durch die Abwandlung sozialer Strukturen ebendiese Taten langfristig zu beeinflussen und zu unterbrechen. Transformative Justice ist als eine erweiterte Form des Restorative Justice zu verstehen. Die Übernahme von Verantwortung für die begangene Tat und die Wiedergutmachung wird ergänzt durch die Suche nach einer Antwort: Wie ist es dazu gekommen?
Transformative Justice verknüpft gewalttätige oder andere kriminelle Vorkommnisse mit der Situation und den Umständen, die sie erzeugt und verstärkt haben. Es wird anerkannt, dass die negativen Seiten des Kapitalismus, Armut, Trauma, Isolation, White Supremacy, Frauenfeindlichkeit, Krieg, Geschlechterunterdrückung und Fremdenfeindlichkeit komplett aus der Gesellschaft verschwinden müssen, um Gewalt großflächig zu verhindern. Oft bedeutet dies, dass schädliche, unterdrückende Systeme, sowie Beziehungen untereinander und innerhalb der Gesellschaft umgewandelt werden müssen, damit gewaltfördernde Konditionen verschwinden.
Strategien und Maßnahmen des Transformative Justice verfolgen die Entkräftung und die Auflösung von gewaltverherrlichenden Strukturen der Unterdrückung oder der Selbstjustiz und kultivieren aktiv Methoden, die Gewalt verhindern, also Heilung, Verantwortungsübernahme, Resilienz und Sicherheit für alle Beteiligten.

Schon Gustav Radbruch, der Reichsjustizminister in der Weimarer Republik, hatte „nicht Verbesserung des Strafrechts, sondern Ersatz des Strafrechts mit etwas Besserem“ gefordert. Dies bedeutet eine klare Abkehr von der Tatvergeltung hin zum Sicher, Helfen und Heilen: „Nicht die Tat, sondern der Täter, nicht der Täter, sondern der Mensch.“
Bernd Maelicke

Bildung kann als Grundlage für ein sozial eingebundenes Leben in einer Gesellschaft angesehen werden. Das Fehlen von Bildung ist oft der Auslöser für Delinquenz beziehungsweise eine Hürde für den Wiedereinstieg in die Gesellschaft. Daher wurden Angebote für Ausbildung und Fortbildung deutlich erhöht.
Arbeit, insbesondere fair bezahlte Arbeit wiederum, stellt einen motivierenden Faktor zur Integration und zum Wiedereinstieg in die Gesellschaft dar.
Zudem wurden in diesem Rahmen Programme in der Öffentlichkeit betrieben, die entgegen potentieller Stigmatisierung wirken.

Die meisten kriminellen Taten werden aufgrund von Armut oder Suchtproblemen verübt. Aus diesem Grund wurden therapeutische und psychologische Angebote weiterentwickelt, die die Resozialisierung fördern und beschleunigen sollen.
Ohne derartige Angebote - besonders im Fall von Suchtproblematiken und Traumata - ist es häufig schwer, den Wiedereinstieg aus eigener Kraft zu schaffen.
Ebenso trägt eine angemessene finanzielle Sozialhilfe dazu bei, kriminelle Handlungen zu verringern oder zu verhindern. Der Weg führt weg vom reinen Verwahrungsvollzug, hin zur Behandlung.

Die Öffnung bezeichnet die Abschaffung von Mauern und Zäunen und ist insofern eng verknüpft mit dem Begriff der Deinstitutionalisierung. Um die Allgemeinheit vor einigen wenigen gefährlichen Personen zu schützen, müssen diese getrennt der Gesellschaft resozialisiert werden. Dennoch sollen sichtbare Zeichen dieser Trennung von der Gesellschaft vermieden oder wenigstens reduziert werden.

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