Seit der Einführung der auf den neuen Werten basierenden Methoden und dem Abbau bestehender Gefängnisse hat sich viel getan. Die grundlegende Reform der Strafjustiz und ihre Umwandlung in ein Reaktionssystem mit Fokus auf dem Individuum führte zu erheblichen Veränderungen im Umgang mit gesellschaftlichem Regelbruch.
Gefängnisse als Institutionen wurden ersatzlos abgeschafft, da eine funktionierende Resozialisierung lediglich vorgetäuscht wurde. Jede Art des Wegsperrens formt erneut carceral spaces.

When I think of prison abolition or transformative justice, I’m not thinking that we need to come up with infrastructures or buildings to replace the prison institution.(...) And not just thinking about what it would mean to replace the prison, because then you’re already thinking carcerally. And that doesn’t mean to just stop designing prisons. But how can our cities be designed so they are more accessible and more public, rather than creating carceral spaces of surveillance and security that condition how people are allowed to move, or manage how people move in a space.
Nasrin Himada

Um auf eine möglichst starke Integration hinzuwirken, wurden kleinere, meist dezentrale Interventionen zur Behandlung und Resozialisierung delinquenter Personen realisiert.
Reformiert wurde außerdem der Umgang mit bereits inhaftierten Delinquenten und die konkrete Tätigkeit der Exekutive, also der Polizei.

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Räume für Folter, Hinrichtung, Isolation oder ähnliche inhumane Behandlung dürfen nicht mehr errichtet werden.

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Die Auslöser für Kriminalität sind strukturelle und soziale Ungleichheiten. Es ist die Aufgabe der gesamten Gesellschaft, diese aufzulösen.

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Jede Person ist vor dem Recht gleich.

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Strafe ist aus dem Umgang mit Kriminalität verschwunden und somit auch das Gefängnis. Das Strafsystem wird durch das Reaktionssystem ersetzt.

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Prävention ist die wichtigste Maßnahme im Umgang mit Kriminalität. Die Resozialisierung folgt als präventive Maßnahme.

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Das Ziel der Reaktion auf Fehlverhalten muss immer sein, für alle Beteiligten eine bessere Situation als die Ausgangslage zu ermöglichen. Es soll kein zusätzliches Leid entstehen.

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Die grundlegende Komplexität, die zur kriminellen Tat geführt hat, muss festgestellt und zum Vorbeugen eines erneuten Vorfalls aufgearbeitet werden.

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Der/die Täter:in muss Verantwortung für seine/ihre Handlungen übernehmen. Dieser Vorgang muss von der Gesellschaft gestützt werden.

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Im Rahmen des Reaktionssystems müssen Selbstbestimmung, Autonomie und die Entfaltung der Individualität zugelassen, geschult und gefördert werden.

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Der Entzug der Freiheit kann nur begründet werden, wenn ansonsten eine akute Gefahr für die Allgemeinheit besteht.

decarceration

Decarceration, auch Entprisonisierung, steht für den Beginn des Abbaus von Gefängnissen. Sie ist der Beginn der Humanisierung der Exekutive. Die alten Grundsätze des Umgangs mit Kriminalität wurden transformiert und bestehende Machtstrukturen umgewandelt.
Der Paradigmenwechsel stellt in diesem Sinne eine Renaissance für die Menschlichkeit dar, obwohl die damit verbundenen Veränderungen nicht für möglich gehalten wurden.
Die Befreiung der Schutzbedürftigen, die Heilung der vom System verletzten und die Enthüllung der verborgenen Zustände in Gefängnissen ist das Ziel.
Dennoch ist Vorsicht geboten – auch wenn der Rand zerschlagen wird, kann der Kern bestehen bleiben. Dieser Kern kann wieder zur Reetablierung des alten Systems führen.

demolition

Die Lebensdauer aller Dinge ist endlich. Unbeständigkeit und Bedeutungslosigkeit können zu einem natürlichen Ende führen, während anderen Dingen bewusst ein Ende gesetzt wird.

In this light, closure in itself is still embedded with the same circuits of power that created such institutions, unless there is an epistemic shift in the way community, punishment, dis/ability, and segregation are conceptualized.
Liat Ben-Moshe

So wie sich die Frage des Fortlebens von nicht mehr genutzter Industrie stellt, ergibt sie sich nun auch für die Gefängnisbrache. Was passiert mit den physischen Überresten der Verkörperung der Strafe? Was ist die architektonische Antwort? Die Schließung alleine bewahrt die Gebäude nicht vor einer erneuten Institutionalisierung.

transformation

Transformation – eine Metamorphose durch das Einhauchen eine Rekonfiguration. Sobald sie mit Leben und Werten durchdrungen ist, wird sie jenseits ihres früheren Nutzens umgewandelt. Diese Transformation der Dinge, ob in uns selbst, ob in den Räumen, in denen wir uns aufhalten, oder die, von denen wir uns distanzieren, ist unausweichlich.
Auch negativ belastetes Erbe gestaltet durch den Erhalt und die Aufarbeitung der Vergangenheit. Anstatt Demütigung entsteht Unterstützung, anstatt Isolation greift Integration, anstatt Kontrolle gelingt Autonomie. Der Wandel lässt das Alte zu und kreiert daraus Neues.

safeguarding

Unser Ziel ist es, die Bevölkerung zu schützen, für ihr Wohlbefinden zu sorgen und ihre Rechte zu bewahren. Wir setzen uns dafür ein, der Gesellschaft ein Leben frei von Leid, Misshandlung und Vernachlässigung zu garantieren. Dabei liegt unser Fokus nicht nur auf denen, die sie erfahren, sondern auch auf jenen, die sie verursachen.
Viele von uns kommen aus prekären Verhältnissen, hatten Kontakt mit Kriminalität. Wir haben Verantwortung dafür übernommen und unser Leben zum Besseren gewendet. Das macht uns empathisch und aufnahmefähig für eine andere Sichtweise der Dinge.
Wir haben ähnliche Funktionen, wie die Polizei, aber wir gehören nicht dazu. Wir sind unabhängig, aber arbeiten nicht gegeneinander.
Wir dazu ausgebildet, Gewalt aufzulösen, nicht um noch mehr Gewalt zu verüben. Wir wollen Kontakt zu euch, zur Gesellschaft, durch Interaktion und Kommunikation. Wir arbeiten der Eskalation entgegen, der Gewalt entgegen. Wir wollen für euch da sein.

mediation

Die Luft ist schal mit einer leichten Note frischen Kaffees. Um einen runden Tisch herum sitzen Personen, die sich in ihren Unterschieden einen. Das Klirren der Tassen auf den Untertellern und das Tippen in einen der Laptops ist kurzzeitig das einzige Geräusch, bis erneut eine Person das Wort ergreift.
Sie diskutieren bereits den gesamten Vormittag angeregt. Die teilweise etwas größeren Abstände zwischen ihnen machen die Unterteilung der drei Fraktionen sichtbar. Die des Täters, die des Opfers und die Mediatorengruppe aus den Fachbereichen Psychologie, Soziologie und Pädagogik. Trotz der Intensität ist eine Lösung des Konfliktes, die Einsicht und die Festlegung der Kompensation in greifbarer Nähe. Ganz ohne autoritäre Entmündigung, nur durch Kommunikation.

intervention

Die Gesellschaft ist ein machtvolles Organ. In ihrer Gänze ist sie in der Lage, alle Strömungen, Meinungen und Verhältnisse zu bestimmen. Sie steht in einer direkten Wechselwirkung mit der Stadt und ihren Bewohnern. Sie entspricht den Bewohnern.
Sie klärt auf, sie wird aufgeklärt, sie verletzt, sie wird verletzt. Die Vernetzung und die Kommunikation untereinander verändert sich, die Gesellschaft verändert sich.
Innerhalb der Stadt entstehen Orte für die Gesellschaft. Sie sind als Intervention zur Verknüpfung unterschiedlicher Quartiere und deren Bewohner, als Räume des Zusammenkommens und des sozialen Miteinanders entstanden.

compensation

Der Park ist wie jeden sonnigen Tag gut besucht. Einige joggen an den grünen Wiesen entlang, andere führen ihren Hund aus.
Ein paar Personen arbeiten an einem Podest um Aufenthaltsstätten für Familien und andere Bürger zu schaffen. Was sie besonders macht: Sie haben die Regeln der Gesellschaft gebrochen, haben die Verantwortung dafür übernommen und leisten Wiedergutmachung.
Eine Wand, ein Dach, eine Säule sind in der Lage, eine natürliche Umgebung zu bilden und sie in einen komfortablen, nützlichen und menschlichen Lebensraum zu verwandeln. Wenn eine Idee erst einmal entstanden ist, kann sie einen nährenden Prozess erzeugen.

decentralised social rehabilitation

Unsere Gesellschaft ist vielfältig. Es existiert eine Fehlerkultur. Fehler sind wichtig, weil man daraus lernen kann. Ohne diese Fehler würde diese Gesellschaft sich weniger schnell weiter entwickeln.
Delinquenten werden in dezentralen Umgebungen mit unterschiedlichen Arbeitsangeboten integriert. Ihre Arbeit trägt zum Gemeinwohl bei, dabei lernen sie, sich an eine soziale Umgebung anzupassen und schrittweise zu integrieren. In direkter Nähe zur Gemeinschaft sind ihre betreuten Wohnungen angesiedelt.
Unterschiedlichste Szenarien sind denkbar: Frauen mit Kindern, alleinstehende ältere Männer, ganze Familien, Jugendliche und so weiter.
Die urbane Umgebung wird zum melting pot, der Täter und Nicht-Täter verschmilzt.

centralised social rehabilitation

Warum Bestrafen, wenn man den Menschen auch Menschlichkeit nahebringen kann?
Arne Nielsen

Autonomie und Menschenwürde. Das sind die Werte, um die es sich innerhalb der Ansammlung kleiner Gebäuden in der Peripherie dreht. Autonom zu leben zu lernen, um nicht zu kriminellen Mitteln greifen zu müssen auf der einen Seite, die eigene Menschenwürde und die Anderer zu erkennen und zu respektieren auf der anderen. Weit entfernt vom Lärm und Gewirr der Stadt in der Idylle der Natur. Einerseits losgelöst von der Gesellschaft, andererseits einsehbar und immer noch verbunden.
Die Gebäude werden in das Gefüge eines Dorfes integriert und in ein bürgerliches und alltägliches Leben eingebunden. Sie beginnen das Zusammenleben, die Privatsphäre und das öffentliche Leben zu gestalten.
Aus der Ferne wirken die Personen, die ihrem Alltag nachgehen, wie Ameisen. Ein Gewusel der Normalität.

Nasrin Himada: Himada, Nasrin: On Prison Abolitionism. In: The Funambulist: Carceral Environments,
CCA, Montreal 2016.

Liat Ben-Moshe: Himada, Nasrin; Chris Lee: Scapegoat 7 - Incarceration. SCAPEGOAT Publications,
Toronto 2014.

Arne Nielsen: Maelicke, Bernd: Das Knast-Dilemma. Wegsperren oder resozialisieren? Eine Streitschrift.
München, C. Bertelsmann Verlag, 2019.