history

Um in das Thema Gefängnis einzusteigen, liegt erst einmal die Untersuchung der ideologischen und architektonischen Entwicklung der Gefängnisarchitektur nahe.
Es ist, kurz gesagt, die Entwicklung einer paradoxen Idee, die mit dem Gefängnis entstand und bis heute mit ihm verbunden ist: einen Menschen aus der Gesellschaft auszuschließen, um ihm beizubringen, wie er sich innerhalb der Gesellschaft zu verhalten hat.
Amelie Ramsbrock

Die Freiheitsstrafe als solche hat sich dabei erst in den letzten 200 Jahren entwickelt und somit die Typologie Gefängnis begründet. Dabei gibt es keine klare chronologische Abfolge, sondern eine Vielzahl von Systemen, die je nach Ort und politischem System Anklang und Verwendung fanden und an anderer Stelle adaptiert und weiterentwickelt wurden.

Der große Fortschritt unseres Strafsystems seit dem Mittelalter liegt darin, dass in der gesetzlich detailliert geregelten Art des Verfahrens im Gegensatz zur freien Willkür und dem Recht des Stärkeren nunmehr der Staat die Konfliktbearbeitung übernommen hat und dabei an feste Regeln gebunden ist. Er allein hat das Monopol zu strafen und kann dies mit seinem „Gewaltmonopol“ bis hin zum Freiheitsentzug auch durchsetzen.
Bernd Maelicke

Die Tatsache, dass wir uns das Gefängnis so lange nicht wegdenken konnten, zeigt, wie tief die Ideologie des Strafens in unserer Gesellschaft verankert war.

Schon immer stand die Gesellschaft vor der Frage, wie mit Menschen umzugehen sei, die nicht angepasst an die bestehenden Strukturen leben. Seit der griechischen Antike kristallisierte sich die Strafe als Reaktion auf Delinquenz und Ungehorsam. Sowohl die Art der Bestrafung und deren Durchführung, als auch der Ort der Strafe selbst haben sich dabei über die Zeit hinweg stark verändert. Die Leibesstrafe wird zu einer auf den Geist abgerichteten Bestrafung vom Staat und somit von der Gesellschaft verhängt. Eine im Vergleich recht neuartige Entwicklung seit der Nachkriegszeit des zweiten Weltkriegs ist die Resozialisierung. Aus dem Kerker wird das Zuchthaus, dann das Gefängnis und schließlich die Justizvollzugsanstalt.
Bis ins Mittelalter waren körperliche Sanktionen, also Schandstrafen wie der Pranger, strenge und brutale Körperstrafen, Verbannung aus der Stadt, oder gar die Todesstrafe für Delinquenten vorgesehen. Die Ausübung dieser Strafen waren meist zeremoniellen Charakters und wurde öffentlich vor breitem Publikum ausgeführt, zum einen um Nachahmer oder Gleichgesinnte abzuschrecken, zum anderen um die Tatsache der Strafbarkeit des Vergehens zu unterstreichen.

Räume, die zum Festhalten der zu strafenden Person gedacht waren, gab es zwar auch, dabei ging es aber meist nicht um den Entzug der Freiheit als Strafe, sondern um das Fristen bis zur Verhandlung über das Strafmaß (entsprechend der heutigen Untersuchungshaft). Eine frühe Form der Freiheitsberaubung ist die Sklaverei in der Antike, die nicht unbedingt eine Relation zur Bestrafung haben musste. Bis zum Mittelalter existierten keine eigens gebauten Gefängnisse, stattdessen dienten dafür häufig Burgverliese, Keller von Rathäusern oder Teile der Stadtmauern. Der Ort des Freiheitsentzuges war somit nicht von moralischen oder humanem Sinn, sondern rein Verwahrung bestimmt.

Die öffentliche Hinrichtung dient der Wiederherstellung der Macht des Königs.
Michel Foucault

Die Gefangenhaltung als Bestrafung in einem eigens dafür vorgesehenen Gebäude hat ihren Ursprung in klösterlichen Gemeinschaften des späten Mittelalters. Die strengen Abläufe, die Einzelunterbringung und die Räume für gemeinsame Arbeit nehmen die Struktur des Gefängnisses um einige Jahrhunderte vorweg. So ist es nicht verwunderlich, dass der Vorläufer der Justizvollzugsanstalt, die Arbeits- und Zuchthäuser, in ehemals klösterlichen Anlagen Platz fand. Dabei handelte es sich nicht um eine reine Strafanstalt, sondern um eine Verwahrungsstätte für Randgruppen, die besondere Kontrolle oder ‚Fürsorge‘ benötigten, also Landstreicher und Obdachlose.
Es begann die Wandlung vom geheimen Prozess und der öffentlich vollzogenen körperlichen Bestrafung hin zum privaten Prozess und der Haftstrafe im Verborgenen.

Eine beispielhafte Institution dieser Art mit immens hoher Reichweite innerhalb Europas bildet das Rasphuis in Amsterdam: Ein in 1596 zu einem Zuchthaus umfunktioniertes Kloster, in dem verpflichtend Rotholz geraspelt wurde. Die gemeinsamen Schlafräume dienten tagsüber zur Ausführung der Zwangsarbeit. Die Unterbringung im Arbeitshaus sollte durch streng strukturierte Abläufe, regelmäßige Arbeit und Entlohnung einen sozialen Menschen aus den dort Eingesperrten machen. Ein weiterer Zweck war die Zurschaustellung der Inhaftierten: Das Rasphuis lockte durch seinen exemplarischen Charakter Besucher an und unterstützten damit das Konzept der Betreiber der ‚Scham als erste Besserung‘.
Die Arbeitshäuser waren den europaweit zeitgleich entstehenden Zuchthäusern überlegen. Die bekannteste britische Einrichtung gleichen Konzeptes galt dabei als abschreckende Beispiel, aufgrund ihrer miserablen hygienischen, sozialen und disziplinarischen Zustände. Das Bridewell in London, 1557 von einem Schloss umgewandelt, war dabei keine typologische Besonderheit, lediglich die erste und damit wichtigste Einrichtung Englands dieser Art.

Die nach Gesichtspunkten der Arbeitsökonomie gestalteten Zuchthäuser konnten auf Dauer ihren Zweck nicht erfüllen. Wegen Überfüllung, mangelnder Hygiene und dem wahllosem Zusammensperren von Menschen unterschiedlichster Delikts- und Altersgruppe konnte weder Bridewell, noch die Zuchthäuser der Niederlanden erzieherische Erfolge aufweisen. Vielmehr unterstützen sie die Kriminalität innerhalb.

Mit der Ablösung der körperlichen Strafen und Ehrstrafen gewann die Freiheitsstrafe gegen Ende des 18. Jahrhunderts verstärkt an Bedeutung. Gefängnisse und Zuchthäuser wurden dadurch zu Strafanstalten, die für unterschiedliche Strafzwecke – Abschreckung und insbesondere Besserung – nutzbar gemacht werden sollten.
Die mangelnden Fortschritte der bestehenden Arbeits- und Zuchthäuser gerieten zunehmend in die Kritik und bedingten die Gefängnisreformation Ende des 18. Jahrhunderts durch John Howard. Er bewirkte die erste Richtlinie für staatliche Gefängnisse nach humanitärer Vorstellung, den Penitentiary Act 1779. Durch sinnvolle Arbeit, gerechte Entlohnung, angebrachte Hygienebedingungen, die Möglichkeit der Hafterleichterung bei gutem Verhalten sollte das Ziel der Verbesserung des Individuums erreicht werden. Zur Verhinderung der gegenseitigen ‚moralischen Ansteckung‘ forderte er eine Unterteilung der Gefangenen in Gruppen nach Alter, Geschlecht, Delikt und moralischer Disposition. Um die gegenseitige „moralische Ansteckung“ der Gefangenen zu verhindern, sollten diese räumlich voneinander getrennt und an der Kontaktaufnahme gehindert werden (zunächst auf dem Wege einer „Klassifikation“ in Gruppen nach Alter, Geschlecht, Delikt und moralischer Disposition, später individualisierend durch Einzelhaft in Zellen). Außerdem war man zunehmend bestrebt, die permanente Überwachung der Sträflinge zu gewährleisten, um so erzieherischen Einfluss auf ihre Besserung ausüben zu können. Gefängnisbau wurde zur eigenen Bauaufgabe.

Als eines der ersten Gefängnisse mit Einzelzellen gilt die Casa di Correzione in Rom. Die Besserungsanstalt für schwererziehbare Jugendliche, erbaut bis 1704 von Carlo Fontana, bestand aus drei Stockwerken mit Einzelzellenblöcken, die durch Galerien erschlossen und mit je zwei Fenstern, eines nach draußen, eins in die verbindende Halle, ausgestattet waren. Die Sala Clementina (hoher Saal) diente als Arbeitsraum, Kapelle und Speisesaal. Auf der einen Seite des Saals befand sich ein Altar, auf der anderen ein Prügelblock. Die Sala Clementina lag oberhalb des Passantenniveaus, um den Insassen jeglichen Kontakt zu Passanten zu verweigern. Die dort verrichtete Arbeit sollte in absoluter Stille durchgeführt werden. Der Typus war stark religiös beeinflusst, sowohl durch den einem Sakralbau ähnelnden Grundriss, also auch dadurch, dass der Altar in der Haupthalle von allen Zellen aus einsehbar war. Durch die permanente Vergegenwärtigung der göttlichen Ordnung (also gewissermaßen eine ständige Überwachung im übertragenen Sinne) sollte so eine Verhaltensverbesserung herbeigeführt werden.

Die schlechte wirtschaftliche Lage der Niederlande und Englands, sichtbar an den steigenden Zahlen von Bettlern, Landstreichern und Dieben, bedingte eine Steigerung der benötigten Anzahl an Arbeitshäusern. Dadurch entwickelte sich ein wesentlich klarer typologisch definiertes Gefängnis: Die Maison de Force zu Gent im Jahr 1775. Jeder trapezförmige Innenhof bildet eine Einheit mit eigenen Zellen, Speisesälen, Schulungs- und Arbeitsräumen, sodass die einzelnen Gruppen nach Alter, Geschlecht und Strafmaß voneinander getrennt bleiben. Innerhalb des Abschnittes wurde tagsüber gemeinsam gearbeitet, die Nacht wird in Einzelzellen verbracht. Die radiale Anordnung scheint mit dem Panoptismus in Verbindung zu stehen, allerdings ist vom achteckigen Innenhof keine Sichtbeziehung zu den einzelnen Gebäudeflügeln und in die Gänge mit den Zellen möglich. Der strahlenförmiger Radialplan entwickelt sich zum Urplan des Gefängnisses.
Aus diesen Überlegungen entstand in Zusammenarbeit mit dem britischen Architekten Sir John Soane 1781 die Männeranstalt für 600 und eine Frauenanstalt für 300 Insassen. Inspiriert von der Maison de Force und durch die starke Prägung geometrischer Grundformen unterteilten sich die Gesamtanlagen in mehrere Trakte, um so Howards Forderung der Klassenunterteilung gerecht zu werden. Trotz einiger Sichtachsen, kann bei dem enorm großzügigen Grundriss nicht von Effizienz der Überwachung oder Wirtschaftlichkeit die Rede sein.

Den Höhepunkt der Überwachung bildete Jeremy Benthams Panopticon im Jahr 1791. Laut Michel Foucault stellt es die architektonische Gestalt der Machttechniken dar und dient damit als Ort zur Kontrolle und Disziplinierung der Stigmatisierten.
Jeremy Bentham rechnete dem Panopticon, auch Inspection House genannt, an, die Moral zu erneuern, die Gesundheit zu erhalten, das Gewerbe zu stärken und die Öffentlichkeit zu entlasten. Dabei stand das Konzept nicht nur für das Gefängnis, auch Fabriken, Armenhäuser, Lazarette, Fabriken, Hospitäler, Arbeitshäuser, Irrenhäuser und Schulen sollte das Panopticon zu neuen Erfolgen leiten.
Die Einzelzellen im kreisförmigen Panopticon sind radial um einen Luftraum über mehrere Geschosse hinweg organisiert. Mittig befindet sich das Haus des Aufsehers, dessen Fenster mit Lamellen bestückt werden. Die Zellensegmente sind zum Inneren mit Gitterstäben, zum Außenraum mit großen Fensteröffnungen ausgestattet. Dadurch wird jede Zelle zu einem durchleuchteten Theater für den Aufseher in der Mitte, während dieser aus dem Kontrollraum wegen der Lamellen nicht sichtbar ist. Diese Unsichtbarkeit des Überwachenden bedingt eine Allgegenwart der Kontrolle, eine „Maschine zur Separierung und Überwachung“. Das Konzept wurde trotz seiner Bekanntheit bis heute nur selten beim Bau von Haftanstalten angewandt, wie zum Beispiel das Arnheim Koepelgevangenis, 1886, in den Niederlanden und das Stateville Penitentiary, 1864, in Illinois, USA. Das Konzept wurde im Millbank Gefängnis in London auf die Spitze getrieben. 1816 errichtet besteht es aus einem hexagonalen Gebetsraum umgeben von sechs weiteren Hexagonen mit Zellentrakten und je einem Wachturm in der Mitte. Die Aufteilung in Höfe ermöglicht eine Segregation der Gefangenen. Das erbaute Konstrukt wurde allerdings so unübersichtlich und verwirrend für die Wachen, dass es noch vor Ende des Jahrhunderts abgetragen wurde.
Michel Foucault beschreibt in seinem Buch Überwachen und Strafen das Panopticon als Höhepunkt der Disziplinargesellschaft. Die Asymmetrie in den Sichtverhältnissen kreiert das Machtverhältnis und macht es für die Beobachteten unmöglich, zwischen Situationen zu unterscheiden, die für die Bewertung ihres Verhaltens relevant oder irrelevant sind. Sie müssen sich in jedem Moment auf eine Bewertung einrichten. Die Anordnung wirkt damit unmittelbar auf die Selbstdisziplin der Personen in den Zellen ein.

Im 19. Jahrhundert wurden aufgrund unzureichender finanzieller Mittel die meisten Forderungen nach Howard abgeschafft. Im Laufe des Jahrhunderts entwickelten sich drei Systeme in den USA und in England, die teilweise aufeinander aufbauten oder andere Gefängnisse dieser Zeit stark beeinflussten. Außerdem wandelte sich der Standort aus dem städtischen Kontext in die Peripherie, um für den Rest der Gesellschaft unsichtbarer zu werden.

Silent system
Das silent system, auch Auburn System, wurde im Auburn State Prison in Staat New York, errichtet von 1816 bis 1824. Den Tag in Gemeinschaft zu verbringen und die Nacht in der Einzelzelle ist dabei nicht die Neuerung, sondern das Absitzen der gesamten Strafe in absoluter Stille. So wollte man den Willen der Gefangenen brechen und zu Einsicht und Reue führen. Der Ausgang im Hof durfte nur im sogenannten lock step durchgeführt werden, der weder Blickkontakt noch Gespräche mit den Mitinsassen ermöglichte. In Auburn wurde auch die schwarz-weiß-gestreifte, einheitliche Gefängniskleidung etabliert, die bis heute deren Klischee bestimmt. Bei Ungehorsam drohten den Insassen Körperstrafen, wie Peitschenhiebe.

Solitary system
„Over the head and face of every prisoner who comes into this melancholy house, a black hood is drawn; and in this dark shroud, an emblem of the curtain dropped between him and the living world, he is led to the cell from which he never again comes forth, until his whole term of imprisonment has expired. ... He is a man buried alive; to be dug out in the slow round of years, and in the meantime dead to everything but torturing anxieties and horrible despair.“

So beschreibt Charles Dickens das Eastern State Penitentiary und das dort angewandte System in seinem Buch American Note im Jahr 1842. Das solitary system gilt als verschärftes silent system und wurde 1829 am Eastern State Penitentiary in den USA, Philadelphia entwickelt. Daher kam auch der Name das pennsylvanischen Systems. Ausgehend von einem Zentralbau erschließen sich die Zellen über strahlenförmige Korridore. Jeder Zelle wurde ein kleiner Hof vorgelagert, in der tagsüber gearbeitet wurde. Die Haft war darauf ausgelegt, durch die strenge Isolation - auch jeglicher Besuch war verboten – Reue und Umkehr zu bewirken. Während des Baus der Anstalt waren die Behörden gezwungen die Anstalt zweigeschossig zu errichten, was zur Folge hatte, dass die Zellen im Obergeschoss nicht mal die Möglichkeit des Austritts und stattdessen lediglich den Blick in den Himmel boten.

Separate system
Die anschließende Milderung des solitary systems ist an dem Gefängnis Pentonville, 1842 in London errichtet, ersichtlich. Ursprünglich als Prototyp für künftige Gefängnisbauten in England geplant, gilt es nun als das weltweit meist angewandte Gefängniskonzept. Die halbkreisförmige Halle am Kopfbau ermöglicht einen panoptischen Blick in die vier radial angeordneten, dreigeschossigen Zellenarme. Diese sind nicht, wie zuvor, als Korridore ausformuliert, sondern über Galerien. Obwohl die Insassen nun die Zellen verlassen durften, wurden stattdessen eine andere Art der Isolation vorgeschrieben: Bei Ausgang in den Hof, zum Unterricht oder zur Arbeit trägt er sogenannte Schildmützen. Die Masken verhindern den Sichtkontakt mit anderen Inhaftierten. Durch weitere bauliche Vorrichtungen wird weiterhin isoliert: In der Schule und Kirche werden Holzverschläge, sogenannte stalls, errichtet. Der Innenhof ist mit käfigartigen Spazierbereichen bestückt.

Progressive System
In Pentonville wurde auch an einem neuen Haftsystem gearbeitet: Die Isolationshaft war die erste Stufe. Nach neun Monaten Einzelhaft konnten die Gefangenen bei guter Führung zu Gemeinschaftsarbeiten zugelassen werden. Insgesamt gab es dabei drei unterschiedliche Stufen, auf die der Gefangene je nach Verhalten auf- und absteigen konnte. Bei Erreichen der höchsten Stufe konnte die Gesamtlänge der Haft um ein Viertel verkürzt werden, also die erste Form der Bewährung.

Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich eine weitere typologische Variante des Gefängnisbau, die weite Verbreitung fand und teils bis heute für moderne Bauten angewendet wird. An einen Telegraphenmast erinnernd werden die Zellenflügel dabei links und rechts an einen langen, zentralen Erschließungstrakt angeordnet. Viel mehr als bei den vorhergehenden radialen Gefängnisanlagen weiten sich die neuen Gefängnisanlagen zu einem Gebäudekomplex mit einer weitläufigen, fast siedlungsartigen Struktur aus.

Der Vorläufer dieses Gebäudetypus‘ und, laut Foucault, der Abstieg in unsere modernen Straftheorien und Machtstrukturen, bildet die Gefängniskolonie Mettray in Frankreich. Die im Jahr 1940 eröffnete Arbeiterkolonie für Jugendliche, die auch durch die erstmalige Spezialisierung auf junge Straftäter eine Besonderheit in der Gefängnisgeschichte darstellt. Die Gefängniskolonie konstituiert aus parallel zueinander liegenden Pavillons, die um eine Mittelachse angeordnet sind und damit einen dörflichen Charakter mit fast urbanen Strukturen größerer Institutionen vorwegnehmen. Zu Beginn fand die Institution hohen Anklang, sie entwickelte sich jedoch bald zu einem unheilsamen Hierarchiesystem mit militärischer Organisation. Dieser Drill und die harten Körperstrafen widersprachen dem ursprünglich angestrebten humanistischen Ziel stark.

Die bekannteste und für weitere Entwicklungen einflussreichste Anlage des Telephone-Pole-Typs stellt die Gefängniskolonie in Fresnes bei Paris im Jahr 1898 dar. Die Werkstätten, die Kapelle, ein Krankenhaus, der Verwaltungsbau und sonstige Gebäude waren von den Zellentrakten getrennt, so dass lange Wege für Häftlinge und Wärter entstanden. Die Größenordnung von 1650 Häftlingsunterbringungen und die fast unübersichtlichen Anlagen von vielen kleinen Gebäudetrakten, -flügeln und Einzelbauten überholt das Jahrzehnte lange Bestreben, einen möglichst kompakten, effizient von überall überwachbaren Raum zu entwickeln.

Nach dem Typ des Telephone Pole entstand eine Vielzahl von baulichen Strukturen und Strafvollzugsformen. Besonders in den USA werden seit den zwanziger Jahren Gefängnisse auch als Hochhäuser errichtet. Die Vorteile eines Hochhausgefängnisses sind dabei, neben dem hohen Sicherheitsfaktor aufgrund der Höhe, die klassischen Vorzüge eines Hochhauses: Der geringen Fußabdruck und der geringe Flächenverlust durch die Erschließung. Die dadurch mögliche Positionierung in der Stadt rechnet sich dabei besonders bei kurzfristigen Aufenthalten, wie bei Untersuchungshaft oder beim Warten auf den Gerichtstermin.
Ein Beispiel hierfür ist das Chicago Metropolitan Correctional Center von 1976. Die 27 Stockwerke sind auf einem dreieckigem Grundriss organisiert und anstatt der klassischen Gitter vor den Fenstern wird die Fenstergröße einfach zu Schlitzen minimiert.

In der Nachkriegszeit wird in westlichen Industriestaaten, wie z.B. Deutschland, Frankreich und Großbrittanien, dem Strafvollzugsziel der Resozialisierung und der Wiedereingliederung des Straftäters in die Gesellschaft eine hohe Priorität eingeräumt. Damit entsteht in dieser Zeit, auch durch die Herausgabe des Buches Prison Architecture des United Nations Social Defence Research Institutes UNSDRI eine „neue Generation“ von Gefängnisbauten. Um eine intensive individuelle Betreuung zu ermöglichen, wurden nun Gefängnisanlagen in kleinere, voneinander unabhängige Einheiten mit eigenen Gemeinschaftsbereichen unterteilt. Die einzelnen Hafthäuser verfügen über eigene Haftleitung und Betreuer, um so den Stufenstrafvollzug, also den Nachfolger des Progressiven Systems, zu optimieren. Die Haftanstalten bestehen aus einer modularen Addition von polygonalen, quadratischen, drei- oder viereckigen Einheiten, die bewusst nicht symmetrisch oder axial angeordnet sind. Durch die neuen technischen Möglichkeiten der Videoüberwachung, automatischen Türschließung und Bewegungsmelder wird die Notwendigkeit der Einsichtigkeit von einer Perspektive aus obsolet und bieten eine gewisse Freiheit für die formal-strukturelle Gestaltung moderner Gefängnisse.
Die meisten Justizvollzugsanstalten Deutschlands bestanden aus nicht mehr als vier Stockwerken hohen Zellentrakten, die in einem Raster oder einer Kammstruktur angeordnet sind. Auffällig sind dabei die starken Farbakzente und die doch anspruchsvolle architektonische Gestaltung der Fassaden. Ihre architektonische Formensprache gab keinerlei Aufschluss über ihre Funktion. Wenn man also von der Sicherheitstechnik und den Sperrvorrichtungen absehe, könnten sie äußerlich auch Büro- oder Lagerhäuser sein.

The ‘non-places for non-people’ and likened to the pure logistical concerns of an ‘amazon warehouse’, with associated dehumanising effects.
Matter Architecture

In den sechziger Jahren gab es ein weiteres Mal eine Reformbewegung zugunsten der Gefangenen. Ein wesentliches Ergebnis in diesem Wandlungsprozess war die Abkehr von der Vorstellung einer „anlagebedingten Unverbesserlichkeit“. Der Rückfalldelinquent galt also nicht mehr als „Täter aus Erbanlage“, sondern als „Opfer der Gesellschaft“.
Im Jahr 2006 wurde im Rahmen der Föderalismusreform die Aufgabe der Strafjustiz vom Bund an die Länder gegeben. Dies führt zu einer enormen Ungleichheit der Bedingungen für Inhaftierte innerhalb Deutschlands.
Viele der Justizvollzugsanstalten, die im 19. oder 20. Jahrhundert errichtet worden sind, wurden trotz der neuen Erkenntnisse und der Humanisierung des Systems nicht den neuen Standards angepasst. So kam es oft vor, dass Gefängnisgebäude den Charakter der Repression oder Isolation nie verloren.

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Abbildungen

001
Zeichnung: Giovanni Piranesi, Carceri d‘ invenzione, plate XVI, 1761, nach Princeton University Art Museum [artmuseum.princeton.edu/collections/objects/2983]
002
Stich: Unbekannter Künstler, nach Robert Chambers: Book of Days, 1871 [commons.wikimedia.org/wiki/File:TitusOates-pilloried_300dpi.jpg]
003
Gemälde, Querschnitt und Grundriss: nach Winkelmann und Förster (Hrsg.): Gewahrsam. Räume der Überwachung, S. 50
004
Pläne: Maison de Force, Malfaison und Kluchmann, 1773, nach Foucault, Michel: Überwachen und Strafen, S. 202
005
Gemälde: John Soane, The Male Penitentiary, 1781, nach Winkelmann und Förster (Hrsg.): Gewahrsam. Räume der Überwachung, S. 59
006
Abbildung: Unbekannter Autor, [seanmoloneyart.wordpress.com/2014/01/10/milbank-prision]
007
Kupferstich: Unbekannter Autor [blackcablondon.net/2015/03/26/long-lost-dread-the-millbank-penitentiary]
008
Grundriss: G.P. Holford, nach G.P. Holford, An Account of Millbank Penitentiary, 1828
009
Plan, Abbildung: nach Winkelmann und Förster, Yorck (Hrsg.): Gewahrsam. Räume der Überwachung
010
Holzstich: Unbekannter Künstler, nach Ballou‘s Pictorial Drawing-Room Companion, Boston, Massachusetts, 1855 [commons.wikimedia.org/wiki/File:State_Prison,_at_Sing_Sing,_New_York.jpg]
011
Gemälde: Unbekannter Künstler, nach Eastern State Penitentiary Museum [www.easternstate.org/press-room/image-library]
012
Grundriss: nach Eastern State Penitentiary Museum [www.easternstate.org/visit/school-group-tours/school-tours/lesson-plans]
013
Kupferstich: nach Historical Association [www.history.org.uk/secondary/categories/843/news/3828/past-time-toolkit-new-learning-resource-about-vic]
014 Gemälde: Zellenblock des Pentonville Prison, London, British Library, nach Robin Evans, The Fabrication of Virtue. English Prison Architecture, 1750–1840
015
Postkarte: nach Crimino Corpus: Fresnes, les premiers temps de la prison cellulaire, par les gravures et les cartes postales [https://criminocorpus.hypotheses.org/7374]
016
Skizze: Hastings H. Hart, ca. 1920, nach Giuseppe di Gennaro (Hg.), Prison Architecture.